---
head

Mit dem Fahrrad durch Marokko

Über dem schmalen blauen Streifen, der Mittelmeer und Atlantik verbindet, erstreckt sich eine scheinbar endlose, mit grünen Hainen gesprenkelte, ockerfarbene Ebene, die bis zum Horizont und weit darüber hinaus reicht. Langsam senkt sich das Flugzeug auf eines dieser aus dem saftigen Grün der Olivenhaine und dem sandigen Gelb der Stadt bestehenden Mosaike zu. Einige Stunden später durchschreite ich mit meinem Fahrrad den Ausgang des Flughafens, dem Tor zwischen der wohlbekannten Internationalität und einer Welt voll von Schlangenbeschwörern, Feuerspuckern, unglaublicher Gastfreundschaft und einem Hauch von tausendundeiner Nacht.


Marakkesh- die Perle des Magreb hat mich mit orientalischem Charme und marokkanischer Freundlichkeit in kürzester Zeit gefangen genommen.

Nach der ersten Nacht in einem Hotel gehe ich auf Entdeckungsreise in die Altstadt - die Souks von Marakkesh, welche mich mit hypnotischer Kraft durch die mit Teppichverkäufern, Affendresseuren, Gewürzverkäufern und Schmuckhändlern besetzten zauberhaften Gässchen führt.

Nach wenigen, faszinierenden Tagen verlasse ich Marakkesh, um mich dem den Himmel tragenden Atlasgebirge zu nähern. Mein erster, beinahe frevelhaft wirkender Versuch, Feigen von einer die Straßen säumenden Kakteenpflanze zu pflücken, wird mit einer Vielzahl von winzigen Stacheln im ganzen Körper bestraft.

Nach der ersten schweißtreibenden Bergetappe unter der glühenden Sonne Afrikas mache ich halt, um mir an einem Strassenstand ein Glas frisch gepressten, erfrischend süßen Orangensaft zu gönnen. Die beiden Verkäufer Hassan und Mahdi laden mich nach einem lang andauernden Gespräch ein, bei ihnen die Nacht zu verbringen. Der Raum, in dem wir schlafen, ist kahl und außer ein paar Matratzen zum Sitzen befindet sich nur noch ein Fernseher in dem von rohem Putz verhüllten Raum. Am nächsten Morgen fällt der Abschied von meinen beiden berberischen Gastgebern schwer, doch auf der anderen Seite des 2260 Meter hohen Tichka-Passes wartet die größte Wüste des Planeten darauf, mich mit ihrer beeindruckenden Mächtigkeit zu empfangen. Zwei Tage nach der Überquerung des Atlas scheinen dessen einzige Ausläufe wie eine Schar von Zwergen, die allmählich ebenfalls vor den Toren von Ouarzazate, der letzten großen Stadt am Rande der marokkanischen Sahara, verschwinden.

Ein schweißtreibender Tritt in die Pedale folgt dem Nächsten doch der Traum, die gigantischen Dünen der nördlichen Sahara mit den eigenen Augen zu sehen, zu fühlen und zu riechen, ist nur mehr wenige Tagesetappen von mir entfernt. Dies ist auch die Motivation, unnötige, verführerische Pausen zu vermeiden und mit voller Entschlossenheit und Kraft meinen Weg in Richtung der sengenden Sonne fortzusetzen.

Während die ersten Anzeichen von Erschöpfung über mich kommen, überholt mich ein Mopedfahrer. Der neu erregte Ehrgeiz entkoppelt alle Kraftreserven, und der Versuch, mich im Windschatten des Mannes zu halten, gelingt mir auch für einige Minuten.

Als ich etwas später einen der wenigen, von den Strahlen der brennenden Sonne geschützten Platz unter einer der Dattelpalmen passiere, winkt mich der dort rastenden Mopedfahrer zu sich. Es handelt sich um meinen nicht zu besiegenden Kontrahenten im Rennen zwischen Moped und Fahrrad. Er fordert mich auf, ihm zu folgen, um mich auf einen wohltuenden, mit Zucker übersättigten marokkanischen Minztee einzuladen. Gerne nehme ich die freundliche Geste des Mannes an.

Als wir nach einiger Zeit sein Haus oder besser gesagt die Villa, in der der Mann als Hausmeister logiert erreichen, bin ich von der idyllischen Lage an einem Stausee und der märchenhaften Architektur des Hauses und des Gartens entzückt. Der französische Besitzer des Anwesens kommt nur zweimal im Jahr vorbei. Im mit Türmen, Mauern, Hecken und Bäumen geschmückten Garten wird mir ein erfrischender Thunfischsalat serviert - ich fühle ich mich, als wäre ich im Paradies angekommen. Ein wohltuendes Bad im angenehm kühlen Wasser des Sees lässt den Ruf der Wüste an diesem Tag etwas leiser werden. Mit einem Blick auf den mit unendlich vielen funkelnden Sternen gespickten Himmel und einer angenehm kühlen Brise beenden wir auf der mit Decken ausgekleideten Terrasse liegend diesen Tag.

Der nächste Tag bringt eine monotone Landschaft aus gelbbraunem Sand und Steinen. Nur selten schafft ein am Straßenrand stehender Esel oder ein wild wachsender Kürbis ein klein bisschen Abwechslung in die sonst so kahle Landschaft.

Als ich einen der wenigen grünen Flecken, das den malerischen Namen »Tal der Rosen« trägt, passiere, werde ich von zwei hübschen marokkanischen Mädchen eingeladen, mit ihnen zu ihrem Onkel Mustapha auf ein Glas Kaffee zu kommen. Gerne folge ich der Einladung. Und wie so oft bleibt es nicht bei einem Glas Kaffee, sondern ich werde für den nächsten Tag zu einem Ausflug ins »Tal der Rosen« mit der gesamten Großfamilie eingeladen. Leider kann ich den Tag in der beeindruckend tiefen und kühlen Schlucht, wo die Frauen mit großen Gaskochern das Nationalgericht Tajine zubereiten und die Männer mit der Handykamera alles dokumentieren, kaum genießen.

Magen- Darmprobleme als Folge einer Salmonelleninfektion, wie sich später herausstellt, machen mir zu schaffen. Diese veranlasst mich noch zwei weitere Tage die Gastfreundschaft der Familie und die fürsorgliche Pflege Mustaphas, des Bruders der beiden Mädchen, in Anspruch zu nehmen.

Als ich meinen Magen mithilfe von Kohletabletten wieder so weit im Griff habe, um eine gefährliche Dehydration zu vermeiden, setze ich auf meinem Drahtesel die Reise fort.

Die Nacht verbringe ich am Rand der Straße in meinem Zelt. Jeder Stein, der sich mit seinen Kanten vom Untergrund in meinen Rücken bohrt, erinnert mich daran, die Schönheit der umgebenden Landschaft, des magischen Sternenhimmels und der honigsüßen Melone, die mein Frühstück darstellt, zu genießen.

Als die ersten goldenen Sonnenstrahlen die dünne Haut meines Zeltes berühren, beginne ich mit dem Beladen des Fahrrades. Wenige Stunden später erheben sich die ersten, noch sehr kleinen Dünen vor mir. Zu aller Freude kommt auch endlich einmal etwas Wind auf, der mich leicht nach Süden schiebt. Mit neuer Kraft trete ich immer stärker in die Pedale, als der vorerst nur leichte Hauch des Windes zu einem immer energischeren Blasen wird. Nur die freundliche und zugleich bestimmte Einladung eines Souvenierverkäufers rettet mich vor meinem eigenen Ehrgeiz und den immer gewaltigeren Böen des stärker werdenden Sandsturms. Der feine Sand kriecht in alle Ecken des Nomadenzeltes und bedeckt alles mit einer gelblichen Staubschicht.

Nur wenige Tage später wandere ich, gefolgt von einer Schar Kinder auf eine der riesigen, bis zu 150 Meter hohen Dünen, um mich nach dem Sonnenuntergang gemeinsam mit ihnen die Hänge der gewaltigen Sandberge hinunterzurollen. Ich habe mein südlichstes Ziel, die Dünen von Merzouga am Nordrand der mächtigen Sahara erreicht.

Nun kehrt sich der Weg und mein Ziel liegt wieder in der genau entgegengesetzten Richtung - im Norden. Es vergehen einige Tage, in denen ich nur trostlose, wasserlose und lebensfeindlich scheinende Landschaft der Prähsahara durchquere, als sich wieder die ersten Gipfel des gigantischen Atlasgebirges in der Ferne zeigen. Langsam beginnt auch die mit Schlaglöchern übersäte Straße sich wieder bergauf zu schlängeln, um auf einer Höhe von 2100 Metern über dem Meer - am Pass »Tizi n'Test« - den Atlas zu überqueren. Mit einer kaputten Vorderbremse jage ich die Straße auf der anderen Seite des Passes nach unten, um mich bald wieder den nächsten Anstieg hinauf zu kämpfen.

Spät am Nachmittag erblicke ich ein blaues, wolkenbehangenes Dreieck zwischen den nahen Berggipfeln. Es ist der 4167 Meter hohe König des Atlas, der höchste Berg auf der nördlichen Hälfte Afrikas, der »Jebel Toubkal«. Im selben Augenblick, in dem meine Augen diesen Koloss aus Fels erblicken, lässt mich die Anziehung des Berges nicht mehr aus seinem Bann entrinnen. Eineinhalb Tage später stehe ich am Gipfel des Riesen und überblicke ein letztes Mal das Land, welches ich vom Atlas bis zur Sahara mit eigener Kraft durchquert habe.

Einen Tag nach der Besteigung des Jebel Toubkals und drei Wochen nach meiner Abfahrt aus der königlichen Stadt Marakkesh stehe ich wieder am Ausgangpunkt meiner Reise. Mit dem Zug fahre ich zu einer Einladung von Mustafa, Fatima, Fatiha und deren Eltern und Geschwistern nach Casablanca, wo ich sehr herzlich empfangen und bewirtet werde.

Herzliche Freundlichkeit, Gastfreundschaft, mächtige Berge und gewaltige Sanddünen am Rande der Sahara beeindruckten mich auf meiner anstrengenden Reise mit dem Fahrrad durch Marokko.


---